Die meisten Beschäftigten bei der AWO sind Frauen. Die Mehrheit davon arbeitet im Durchschnitt weniger als 39 Stunden in der Woche. Entweder haben sie die Teilzeitbeschäftigung selbst gewählt, weil sie die freie Zeit für verschiedenste Aufgaben oder Verpflichtungen in der Familie benötigen bzw. sich aus gesundheitlichen Gründen dazu entscheiden mussten. Dann ist ihnen die Freizeit lieb und teuer. Oder aber sie haben nur Teilzeitbeschäftigung angeboten bekommen. Auf diese Weise wollen die Arbeitgeber Kosten sparen. Denn je mehr „Köpfe“ zur Verfügung stehen, desto flexibler können die Beschäftigten eingesetzt werden. Dabei hilft ihnen die Tatsache, dass die meisten dieser Teilzeitbeschäftigten gerne mehr arbeiten würden, um den Lebensunterhalt für sich bzw. die Familie besser bestreiten zu können. So wundert es nicht, dass in erster Linie Teilzeitbeschäftigten für zusätzliche Arbeit herangezogen werden.
Warum erhalten Vollzeitbeschäftigte für jede Überstunde einen Zeitzuschlag von 25% obendrauf? Warum kriegen Teilzeitbeschäftigte hingegen für ihre Mehrarbeitsstunde ausschließlich das übliche Stundenentgelt? Zwar regelt unser Tarifvertrag immerhin, dass Teilzeitbeschäftigte auch den Überstundenzeitzuschlag erhalten, wenn sie in einer Woche die Stundendifferenz zu einem Vollzeitbeschäftigten überschreiten. Aber in den meisten Unternehmen der AWO wird dies gar nicht wöchentlich berechnet und bezahlt. Das alles wollen und müssen wir verändern. Dazu finden im Oktober erste Gespräche mit den AWO-Arbeitgebern in NRW statt.
Ergebnis der ver.di-Umfrage vom 08.03.2021 über die Bedeutung des Themas unter den Beschäftigten der AWO in NRW
Bisher halten einige Arbeitsgerichte die unterschiedliche Bezahlung von Mehrarbeits- und Überstunden dann für gerechtfertigt, wenn die regelmäßige, wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden als Belastungsgrenze dient und der Zeitzuschlag für dessen Überschreiten gezahlt wird. Andere Arbeitsgerichte meinen aber, dass ein Zeitzuschlag dem Ziel dienen müsse, den Verzicht auf die Freizeit zu belohnen. Auch im TV AWO NRW hat die Gewerkschaft ver.di im Jahr 2008 Regelungen durchgesetzt, die der Freizeit von Beschäftigten einen höheren Stellenwert einräumt. Das Bundesarbeitsgericht sah sich daher erst jüngst in der Zwickmühle und reichte eine Entscheidung über diese Frage an den Europäischen Gerichtshof weiter.
Wenn der Europäische Gerichtshof die unterschiedliche Bezahlung für rechtsungültig erklärt, könnten Teilzeitbeschäftigte oder Betriebsräte der AWO auch für die Vergangenheit die Bezahlung des Zeitzuschlages von 25% für jede Mehrarbeitsstunde beanspruchen. Voraussetzung ist jedoch, dass mögliche Ansprüche geltend gemacht worden sind.
Lehnt der Arbeitgeber die Anträge immer wieder ab, muss spätestens zum Ende des darauf folgenden dritten Kalenderjahres (Verjährungsfrist) Klage beim zuständigen Arbeitsgericht eingereicht werden. Ansonsten gehen Monat für Monat die durch die Anträge erhobenen Ansprüche wieder verloren. ver.di-Mitglieder können einen Rechtsschutzantrag bei ihrer Gewerkschaft stellen. Soweit Beschäftigte über eine Rechtsschutzversicherung verfügen, können sie einen eigenen Rechtsanwalt beauftragen.
Bis ein erstes rechtskräftiges Urteil vorliegt, können Jahre vergehen. Als z.B. Anfang 2001 zahlreiche Beschäftigte Anträge auf Auszahlung der gestrichenen Geriatriezulage stellen mussten, dauerte es 6 Jahre, bis das Bundesarbeitsgericht den Anspruch der Beschäftigten bestätigte. Viele die keine Klage eingereicht hatten, verloren dadurch sehr viel Geld. Diejenigen, die keinen Antrag gestellt hatten, verloren noch viel mehr.
Für die Berechnung der Ansprüche benötigen Rechtsanwälte oder gewerkschaftliche Rechtsschutzsekretäre ein Berechnungsformular und die entsprechende Höhe der jeweiligen Stundenentgelte und der Überstundenvergütungen.
Einzelne Arbeitgeber wie z.B. das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. haben schon 2019 die erste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts umgesetzt. Daran könnte sich die AWO in NRW, die dies bisher strikt abgelehnt hat, ein Beispiel nehmen. Ob die geplanten Gespräche zwischen der Gewerkschaft ver.di und den Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes der AWO in NRW daran was ändern werden, bleibt abzuwarten.